In direkter Nachbarschaft zu einem der kleinsten Kunstwerke von »Kaleidoskop Worpswede« hängt eine der raumgreifendsten Arbeiten. Dabei handelt es sich um sechs beeindruckende Wandteppiche in den Abmessungen 325 x 275 cm. TXT (Engine of Wandering Words) lautet der Titel der aufwendigen Webarbeit von Ana Torfs. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Brüssel.
Dick und schwer hängen die Teppiche an den Wänden des Haus im Schluh. Flauschig sehen sie aus. Aus diesem Grund kann man beobachten, wie der Besucher gegen den ersten Affekt ankämpfen muss, sie zu berühren und ihre raumfüllende Präsenz haptisch mit den Fingerspitzen zu erfassen.
Wie die Kunstwerke entstanden
Der hochwertige Eindruck entsteht vor allem durch die Verwendung der Jacquard-Technik bei ihrer Herstellung. Der erste mechanische Webstuhl wurde 1785 von Edmund Cartwright erfunden. 1805 wurde dieser von dem französischen Seidenweber Joseph-Marie Jacquard weiterentwickelt. Der Jacquard-Webstuhl wird über eine Lochkarte gesteuert und ermöglicht es, großformatige Muster zu weben. Doch nicht nur das, heute spricht man davon, dass Jacquard mit der Technik der Lochkarte die Grundlagen der heutigen datenverarbeitenden Maschinen und Computer legte. Allerdings führt uns das an dieser Stelle zu weit. Wer möchte, findet hier zu diesem Thema einen spannenden Beitrag des Deutschlandfunks.
Was sehen wir
Die sechs Jaquard-Wandteppiche zeigen eine seltsame mechanische Vorrichtung. Auf dieser erkennen wir jeweils 25 verschiedene, quadratische Abbildungen. An ihren Kanten befinden sich Kurbeln. Dargestellt sind unter anderem Kompasse, Segelschiffe, Szenen von Handel und Arbeit. Die Fragmente wurden scheinbar Fotografien, Gravuren, Ölgemälden, Landkarten, Flugblättern und Buchseiten aus verschiedensten Epochen entliehen. Sie sind mit unglaublicher Präzision und Detailreichtum mit der beschriebenen Jacquard-Technik in den Teppich hineingewoben. Eine technische Meisterleistung mit Seltenheitswert. Man möchte fast nach einer Lupe fragen. Linien scheinen die Quadrate mit den Kurbeln zu verbinden. Schon bald vermutet man, dass es sich um Würfel handelt, die gedreht werden können und so eine andere Seite, vielleicht ein anderes Bild offenbaren. Handelt es sich um ein visuelles Lexikon? Ein Bilderrätsel? Ein Spiel für Kinder? Eine »Maschine der Vorstellungskraft«?
Ana Torfs verrät uns, dass die Apparatur von einem Holzstich von Jean-Jacques Grandville inspiriert ist, den er für Jonathan Swifts Roman Gullivers Reisen von 1726 schuf.
Ein Blick auf den Titel
»Wandering words« ist die Übersetzung für das deutsche »Wanderwort«, eine spezielle Form des Lehnworts. Es handelt sich um Begriffe, die in zahlreichen Sprachen und über geografische Regionen hinweg, verbreitet sind. Als Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung wählt Ana Torfs die sechs Wanderwörter »Ingwer«, »Safran«, »Zucker«, »Kaffee«, »Tabak« und »Schokolade«. Entlang von Handelsrouten erreichten sie unsere Küsten und fanden Eingang in unsere Sprachen. Des Weiteren leiten sich die englischen Begriffe »text«,»texture« und »textile« (Text, Struktur und Gewebe) von dem lateinischen Begriff »textere« ab, was soviel wie »weben« bedeutet .
[Ein Beitrag von Isabell-Christin Rückert]